Freitag, 27. Februar 2004
sie und er
jeden tag sehen sie sich - fast jeden tag
das wochenende verbringt jeder auf seine weise.
sie liebt es einsam durch die natur zu schweifen, dem gesang der vögel zu lauschen, den duft der wildblumen zu trinken, die weiße haut der birken zu streicheln, den würzigen atem der kiefern zu spüren, nackt im weichen moos auf einer lichtung zu liegen und ihre haut von der sonne streicheln zu lassen, am bach zu sitzen und den geschichten zu lauschen, die der bach von seinen tagesreisen mitbringt, die mitbringsel zu schauen, mit denen der bach ihr seinen gruß entbietet, das äsende reh in der ferne zu grüßen, das scheu den kopf wendet und davonläuft.
er verbringt sein wochenende in der großen stadt; er wartet schon darauf... ahh - endlich chillen... er pflegt eine stressige woche hinter sich zu haben, sein auto kennt die autobahnen besser als seinen platz in der garage, seine küche bleibt immer kalt, wozu gib es mcdonald's oder den pizza-lieferservice, die kennen ihn schon... die niedliche kleine mieze, die immer samstags liefert, er hätte sie früher gern gefickt, ja... heute hebt sich sein schwanz nicht mal mehr, wenn er maggi in der firma unter ihren rock schaut - und das kleine biest lässt wahrhaftig keine gelegenheit aus, ihn schauen zu lassen... das wochenende ist immer zu kurz... wenn er sich am freitag seinen joint anzündet, denkt er schon wieder daran, dass er am mittwoch einen termin hat, zu dem er das program fertiggestellt haben muss.... und es läuft noch immer nicht sicher, denkt er, verdammt...

am montag sind sie wieder in einem gebäude... er grüßt sie zerstreut, ohne sie wahrzunehmen... er sieht nicht, dass sie die jahreszeiten förmlich lebt, indem sie deren farben und düfte in sich aufnimmt - im frühling eine schneeglöckchenspange und ein armband, das an krokusse erinnert, pastellfarben.... im sommer glüht auch sie in den tiefen farben der blüten, sie duftet nach rose und nelken; im herbst erstrahlt sie braun und golden und purpurrot wie das laub, im winter ist sie weiße und schwärze; ihr lange schwarzes haar ist zu einem knoten gebunden

so viele jahre schon leben sie nebeneinander her und kennen noch nicht einmal ihre namen richtig.... heißt sie anna... so ähnlich war's doch, irgendwas altmodisches, denkt er, wieso denk' ich an sie? was geht sie mich an? gestern die besprechung der beiden arbeitsgruppen - ein paar mal hatte sie herübergeschaut.... er hatte flüchtig zurückgeschaut.... kein platz für solche spielchen, ich bin sowieso schon wieder im verzug.... auf dem anrufbeantworter, den er noch immer jeden abend abhört, sind wieder einmal nur anrufe die er sofort dem orkus überantwortet... american express mit einem neuen angebot, ein zeitungsverlag, tante mira mit ihrer wöchentlichen "wie geht's dir?" und eine stimme, die er nicht zu kennen glaubt, eine sehr weibliche, werbende stimme....
sie denkt im gleichen augenblick auch an ihn.... er merkt es nicht, denkt sie, nicht einmal meinen namen kennt er.... und gestern hat er nur flüchtig zurückgeschaut, als ich endlich mal den mut hatte ihn anzuschauen.... so viele jahre schon leben wir nebeneinander her und er kennt noch nicht einmal meinen namen, denkt sie verzweifelt - und ich weiß fast alles von ihm... ob er zurückrufen wird
unser beider leben könnte sich verbinden, denkt sie, sie stellt sich vor, wie sie beide zusammen auf der lichtung liegen, wie sie sich leidenschaftlich umarmen, wie sie beide am bach sitzen....
ob er zurückrufen wird?

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