Samstag, 10. April 2004
gebissen
Es war ein berauschendes Gefühl, das mich überkam; ein Gefühl, als hätte ich Weltreiche erobert und als lägen Könige mir zu Füssen. Es war, als schwebte ich am schwarzen Nachthimmel, erhaben über all das unter mir...Die fremde Haut fühlte sich seidig und vertraut an, wie samtenes Gewand berührte sie die meine. In regelmäßigen Zügen atmend, jedoch schlafend, lag das begehrte Wesen vor mir.
Längst war jede störende Hülle gefallen und das durchs Fenster einfallende Licht des fahlen, vollen Mondes tauchte die weiße Haut in ein mystisches Gewand.
Immer größer wurde die Gier nach dem warmen Fleisch. Zitternd fuhren meine Hände über den wie zum Opfer bereit vor mir liegenden Körper und erneut packte mich die Gier; das fatale, unbändige Verlangen nach diesem göttlichen Geschöpf...göttlich, doch war es kein Kainskind, wie ich eines war...Sanft strichen meine Finger durch das weiche, glänzende Haar, über die bleichen Lippen. Unwiderstehlich waren diese Berührungen...Still küsste ich jenes wunderbare Wesen, wehrlos ertrug es meine kalten Lippen.
Ich wurde durchflutet von einem noch göttlicherem Gefühl, das Verlangen wuchs von Sekunde zu Sekunde. Ich bedeckte den geliebten Körper mit kalten Küssen, schmeckte die verlockend weiße Haut. Nein, es gab keinen Weg mehr zurück...Meine Ekstase gipfelte in einem leidenschaftlichen Biss. Das aus dem wunderschönen, schneeweißen Hals hervorquellende Blut war roten Tränen gleich...edler, als jeder Wein. Süßer, als jeder Honig. Reiner, als der Morgentau. Frischer, als jedes Quellwasser. Und es war warm...so warm, wie das Leben...
Ich ließ dieses kostbare Getränk über meine Lippen rinnen, ich trank - nein, ich saugte jeden Tropfen aus dem Wesen, das ich einst zu lieben glaubte. Jetzt war da nur noch die Gier, das Verlangen nach mehr, immer mehr...Doch plötzlich ließ der Rausch nach. Reue überfiel mich. Was hatte ich getan ?
Ich hatte nie die Absicht gehabt, dieses Geschöpf zu töten. Doch es atmete nicht mehr...Ich hatte ihm das letzte geraubt, das es noch besaß, - das Leben, das ich schon vor langer Zeit für immer verloren hatte. Vom unsinnigen Glauben besessen, es einmal wiederzuerlangen, hatte ich getötet, schon wieder getötet...hatte ich doch einst geschworen, meinen schmerzlichen Verlust an niemandem zu rächen, keine unschuldigen Kreaturen mehr zu töten...
Doch konnte ich das geschehene, vollendete Werk nicht mehr rückgängig machen und so verließ ich schweigend den Raum. Mit meinem geliebten Geschöpf war auch ein Teil von mir gestorben. Ich hasste mich dafür, dieses Wesen der Welt der Lebenden entrissen zu haben. Es war noch so jung...so jung, wie ich war, als man mir das Leben stahl. Ich kannte diesen schrecklichen Schmerz, trug ich ihn doch schon Ewigkeiten in mir. Gefangen zwischen Leben und Tod, unfähig zu leben, unfähig, zu sterben. Erfüllt nach der Sehnsucht nach einem von beiden...ob Leben oder Tod ? Ich weiß es nicht.
Mein einziger Trost war, dass jenes zauberhafte Wesen einen stillen, sanften Tod gefunden hatte und nicht für immer den Schmerz spüren musste, der in mir wohnte.
Mit dem wortlosen, unbesiegelten Schwur, niemals mehr zu töten, schritt ich in die Nacht hinaus. Doch schon als ich den Mantel zum Fluge hob, wurde es mir zur quälenden Gewissheit, dass ich, von meinem Fluch gezwungen, dieses grausame Schauspiel auch in der nächsten Nacht wieder erleben würde. Und wie jede Nacht würde der letzte Vorhang erst fallen, wenn ein unschuldiges Wesen den Tod gefunden hatte...

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Sonntag, 21. Dezember 2003
again
fuck mutter breit hängt blau auf dem sofa
der kerl fischt, telefongibt es hier nicht, strom manchmal
wir haben einen generator der rattert solange es diesel gibt.
die schlampe die sich mutter nennt röchelt ich bin
versucht sie zu erlösen aber einmal war ich in dieser
verschissenen kirche mit diesen verfickten bauernpack
vom innenland.
da habe ich mich an die see gewünscht da habe ich meinen
stein eher ein fels, auf dem hocke ich meist mit tiger plüsch
glotze auf den ozean den ich immer für einen see gehalten
habe.
schule gab es nicht, nicht hier im norden, die nächste war
48 miles inside bei den puritanischen bauern,
die kifften nicht einmal die hatten was mit kreuzen auch
in der schule wo ich mal angemeldet wurde, da war ich 12.
das ist lange her 2 jahre 2 verschissene jahre die ich damit
verbrachte auf meinen see der wohl ein meer ist zu starren.

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Montag, 1. Dezember 2003
Blaulicht
Ob es das kurze, aber intensive Blitzlicht oder das irritierende Hupen war, wurde ihrem Bewusstsein nicht eindeutig klar, aber was es auch war, es drang zu ihr durch und verdrängte den gläsernen Ausdruck aus ihren Augen. In Sekundenbruchteilen wurde ihr klar, dass sie ein rote Ampel überfahren hatte. Es dauerte trotzdem einen Moment bis sie begriff, dass sie sich stadtauswärts bewegte und wie sie hier hergekommen war, konnte sie nicht nachvollziehen. Ihre Finger schlossen sich fester um das Lenkrad. Sie blinzelte heftig und Tränen lösten sich aus ihren Wimpern, glitten ihre Wangen hinab, hingen einen Moment an ihrer Kinnlade um dann unbemerkt an ihrem Hals zu versickern. Als der Radiosprecher das Nachtprogramm für Nachrichten und Wetterbericht unterbrach, hatte sie die Orientierung wiedererlangt. Sie setzte den Blinker und wechselte auf die Spur, die nach einigen Kilometern in eine wenig befahrene Landstrasse übergehen würde.

Mit der Klarheit stellte sich auch der Schmerz ein. In ihrem Kopf spulte sich wieder und wieder die Erinnerung an die Worte ab, die vor wenigen Stunden ihre Welt zusammenbrechen liessen. In ihrem Kopf raste ein aus Kontrolle geratenes Karussell mit schwindelerregender Geschwindigkeit, in ihrer Brust befand sich glühende Lava, in ihrem Bauch hielt eine geballte Faust ihre Organe im Klammergriff. „Nein!“, war der einzige Gedanke, den sie fassen konnte. „Nein, nein, nein!“, wimmerte sie lautlos vor sich hin, als könne sie mit diesen Worten, einer Beschwörung gleich, die Ereignisse der letzten Tage ungeschehen machen.

Die Lichter draussen vor der Windschutzscheibe wurden schwächer, der Verkehr um sie herum liess nach, die Häuser wurden dunkler. Sie liess die Stadt hinter sich, noch eine letzte Ampel, danach ein lichtloser Wohnblock, dann die Landstrasse. Sie kannte die Strecke in- und auswendig, kannte jede Biegung, jedes Schlagloch, jeden Baum. Und dann überkam sie Ruhe. Die Gedankenwirbel hielten abrupt an und machten Platz für einen neuen, einen verlockenden Gedanken. Sie richtete sich auf, starrte gebannt auf die Schemen der Bäume, welche die Strasse in ungleichmässigen Abständen säumten. „Es ist ganz einfach“, flüsterte sie, „ganz einfach.“ Mit dem Anflug eines Lächelns liess sie die verkrampften Schultern sinken. „Vorbei, vorbei, endlich alles vorbei. Kein Gestern, kein Heute, kein Morgen, vorbei!“, fuhr es ihr durch den Kopf. Sie schaute auf das Armaturenbrett, überlegt kurz, trat das Gaspedal durch. Hinter der nächsten Biegung würde erst eine lange baumlose Strecke kommen und dann, ein kleines Stückchen abseits der Strasse, eine Linde, eine alte und wunderschöne Linde. Sie hatte die Linde vor Augen, sah ihr Grün vor sich, den Schatten, den der Baum im Sommer auf die Fahrbahn warf.

Als sie das Lenkrad leicht einschlug um der Biegung zu folgen, nahm eine fiebrige Erregung von ihr Besitz. „Nichts mehr denken, nichts mehr fühlen.“, murmelte sie und trat das Gaspedal noch ein wenig tiefer durch. Eine irrsinnige Freude überkam sie, ein unerträgliches Verlangen, ein Sehnen aus den tiefsten Tiefen ihres Innersten. Die Biegung ging in eine schnurgerade Strecke über, Gebüsch und Gestrüpp hinter sich lassend, und dann sah sie es. Erst ein schwacher blauer Schein in der Ferne, dann Autoscheinwerfer, ein Paar, zwei Paar, noch eines. Je mehr sie sich ihrem Ziel näherte, umso mehr Details nahm sie wahr. Ein Feuerwehrfahrzeug, ein Krankenwagen, ein Notarzt, Polizei, zwei Zivilfahrzeuge und über allem das irrsinnige Kreisen mehrerer Blaulichter. Mitten auf der Fahrbahn stand ein Polizist, winkte ihr zu, winkte sie in einem grossen Bogen um den Unfallort, an dem sich ein kleiner weisser Polo frontal in die Linde gebohrt hatte. Sie bremste ab, fuhr langsam, sehr langsam an Krankenwagen und Polizeifahrzeug vorbei, starrte mit weit aufgerissenen Augen auf die Blechteile unter dem Baum und Tränen liefen ihr wie Sturzbäche übers Gesicht, während sie haltlos schluchzte.

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Donnerstag, 27. November 2003
Wolfsbande
Die Dämmerung bricht herein, übertüncht das frische Grün der Bäume mit Grauschattierungen, bedeckt den Himmel mit orangen Schleiern zwischen dunklen Wolkenklumpen und verjagt die Tageswärme. Ich schlage mein Nachtlager zwischen Fichten und Farnen auf. Als ich den Rucksack hinab gleiten lasse, fühle ich mich für einen Moment vollkommen schwerelos und taumele ein paar Schritte zurück. Ein langer Marsch liegt hinter mir, eine lange und kalte Nacht vor mir. Ich lasse mich auf die Knie fallen, öffne meinen Rucksack, zerre die schmuddelige Decke hervor und dann überfällt mich vollkommen unangekündigt die Gewissheit. Ich springe auf, starre in die Dunkelheit zwischen den Bäumen und lausche angestrengt. Nichts, rein gar nichts, nicht zu sehen, nichts zu hören. Trotzdem weiss ich es, ich weiss es ganz einfach, sie sind wieder da. Die Wölfe sind wieder da.

Drei Tage lang war ich mich sicher, dass sie die Verfolgung aufgegeben haben, drei Tage lang war ich frei von dem Brennen hinter meinen Augen, frei von dem Kribbeln auf meiner Haut, von dem Gefühl, in einem unsichtbaren Netz gefangen zu sein. Aber mit der Erkenntnis, dass sie wieder da sind, vielleicht niemals fort waren, überfällt mich erneut eine alles verschlingende Panik. Ich kann sie fühlen, sehe die Konturen ihrer unsichtbaren Leiber vor mir, rieche sie sogar. Ich atme so schnell, dass mir schwindelig wird und ich für einen Moment die Augen schliessen muss. Als ich sie aufreisse, stehen sie vor mir. Und hinter mir. Im Zwielicht wirkt ihr Fell schwarz, aber ich weiss, dass sie grau sind, grau in allen Schattierungen. Ich suche nach einem Fluchtweg, aber es ist aussichtslos, sie umringen mich, schliessen den Kreis um mich in lautloser Eifrigkeit. Ich drehe und wende mich, Elektrizität statt Blut in den Adern. Immer schneller drehe ich mich, starre in ihre gelben Augen. Ich stürze, ich stürze während ich von ihnen umringt bin. Visionen von reissenden Fangzähnen, von unsagbaren Qualen, Blut und Tod überschatten jedes klare Denken. Ende, das ist das Ende.

Sie sind überall, auf mir, neben mir. Ihre struppigen Leiber drängen sich gierig an mich. Speichel tropft von ihren Lefzen auf meine Hände, mein Gesicht. Die Hitze ihrer Körper durchdringt meine Kleidung, verbrennt die feinen Härchen auf meiner Haut. Die Panik in mir schlägt in tiefe Ruhe um. Ich schliesse meine Augen und warte auf den Schmerz. Nichts. Nichts geschieht. Keine Zähne, keine Schmerzen, kein Blut. Stille um mich herum, Frieden in mir drin. Ich versuche zu sprechen, Fragen zu stellen, aber aus meiner Kehle kommt nur ein leises Winseln.

Ich begreife endlich: Ich bin eine von ihnen.

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